QSAR in MET

MET für Windows wird seit Version 10 mit QSAR Daten ergänzt ausgeliefert. Auf dieser Seite wird erklärt, was QSAR Daten sind, wieso diese eingesetzt werden und wo die Grenzen liegen.

Was bedeuted QSAR

QSAR, steht übersetzt für "Quantitative Struktur-Wirkungsbeziehung", ist eine Methode, die in den chemischen und biomedizinischen Wissenschaften weit verbreitet ist. Es handelt sich um ein Verfahren, das darauf abzielt, einen Zusammenhang zwischen der chemischen Struktur einer Verbindung und ihrer biologischen oder physikalischen Eigenschaften herzustellen.

Das Ziel von QSAR ist es, eine verlässliche Vorhersage über die Eigenschaften einer Substanz zu treffen, basierend auf ihrer molekularen Struktur. Hierzu werden eine oder mehrere numerische Beschreibungen der molekularen Struktur (sogenannte Deskriptoren) mit der gemessenen Eigenschaften in Beziehung gesetzt.

Mit Hilfe von QSAR-Modellen können beispielsweise Aussagen zur Toxizität, Umweltverträglichkeit oder pharmakologischen Wirkung von Stoffen getroffen werden, ohne dass diese im Labor untersucht werden müssen. Das spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern ermöglicht es auch, potenzielle Risiken zu identifizieren und zu managen, bevor sie eintreten.

QSAR-Modelle sind daher von grosser Bedeutung in Bereichen wie der Medikamentenentwicklung, der Umweltchemie oder auch im Bereich des Arbeitsschutzes. Für Einsatzkräfte wie die Feuerwehr kann das Wissen um QSAR-Modelle bei der Einschätzung von Gefahren durch chemische Substanzen sehr wertvoll sein.

Eigenschaften, die vorhergesagt werden können sind z.B.: Schmelzpunkt, Siedepunkt , Dampfdruck, kritischer Druck, kritische Temperatur, Wasserlöslichkeit, LD50-Wert, ob ein Stoff krebserregend oder fruchtschädigend wirkt.

Fehlende Substanzdaten

Eine Gefahrstoffdatenbank enthält zu jeder Substanz Angaben wie Molmasse, Schmelzpunkt und Siedepunkt usw. oder keine Angaben. Ist z.B. der Dampfdruck nicht vorhanden, bleibt das entsprehende Feld leer. In der folgenden Grafik ist der Füllungsgrad für verschiedene Substanzeigenschaften einer Gefahrstoffdatenbank mit über 8000 Substanzen dargestellt. Dabei wurden nur Substanzen gezählt die zu mindest die Molmasse enthalten.

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Der Schmelzpunkt ist bei 62% aller Substanzen bekannt. Bei den anderen Eigenschaften weisen nur zwischen 10% und 50% der Substanzen einen Datenwert aus. Es gilt zu berücksichtigen, dass nicht jede Substanz z.B. einen Siedepunkt aufweist, weil gewisse höhermolekulare Substanzen werden vor dem Sieden zersetzt.

Bei diesen ca. 8000 Substanzen sind die bekanntesten Substanzen, wie z.B. Chlor, Ethanol, Schwefelsäure usw., enthalten. Hätte die Datenbank noch mehr Substanzen würde die Prozentzahlen deshalb sinken und nicht steigen.

Was bedeuten unbekannte Substanzdaten für die Gefahrenanalyse?

Will der Benutzer nun eine Ausbreitungsrechnung für eine ausgelaufene Flüssigkeit erstellen und der Dampfdruck ist nicht vorhanden, kann die Freisetzung aus der Lache nicht berechnet werden. Eine Alternative ist es in diesem Fall, eine schlagartige Freisetzung zu wählen, weil der Dampfdruck nicht benötigt wird. Die ermittelte Gefahrendistanz kann dadurch weit höher ausfallen, z.B. 2500 Meter statt 500 Meter. Das Nicht-Wissen des Dampfdruckes führt zu einer grösseren Gefahrendistanz.

Ein anderer Fall liegt vor, wenn die Toxizität unbekannt ist, weil dann eine toxische Gefahrenabschätzung nicht möglich ist. Wie kann in einer solchen Situation gehandelt werden? Der Unfall kann so behandelt werden, wie wenn die Substanz unbekannt ist. Oder vielleicht kann aufgrund der bekannten Informationen ein Profil der Substanz zusammengestellt werden. Oder vielleicht kann aufgrund der chemischen Struktur versucht werden den Stoff einzuschätzen. Z.B. eine Isocyanat-Gruppe im Molekül wird einen Stoff als toxisch heikel erscheinen lassen, usw. Eine solche Abschätzung verlangt Expertenwissen und ist unter Zeitdruck kaum auszuführen.

QSAR - eine methodische Vorgehensweise, wenn ein Substanzwert fehlt

Im oberenn Teil haben wir das Fehlen des Dampfdruckes besprochen. Als Ausweg kann eine Freisetzungsart gewählt werden, die den Dampfdruck nicht benötigt. Dies hat aber den Nachteil, dass das Nicht-Wissen des Dampfdruckes zu einer grösseren Gefahrendistanz führt. Eigentlich ist das eine gute Methode, denn je grösser das Unwissen desto grösser wird die Sicherheitsmarge.

Der Benutzer könnte auch versuchen den Dampfdruck, die Toxizität, die Wasserlöslichkeit usw. selber abzuschätzen. Dies verlangt aber Expertenwissen und Zeit. In dieselbe Richtung weisen die QSAR Methoden, ausser dass das Expertenwissen im Modell steckt und die Abschätzung vorgängig ermittelt werden kann. Entsprechende Schätzwerte sind daher zeitnah vorhanden. Wenn experimentelle Werte später verfügbar werden, ersetzt diese die QSAR Werte in der Datenbank.

Wie gut ist die Uebereinstimmung der QSAR mit experimentellen Daten: Dampfdruck

QSAR abgeschätzte Dampfdrücke oder die Toxizitäten sollen mit den experimentellen Werten verglichen werden.

In der nachfolgenden Grafik und Tabelle sind die Abweichungen der Dampfdrücke zwischen experimentellen und QSAR-Werten für 1530 Substanzen ersichtlich. Bei rund 60% der Substanzen ist der QSAR Dampfdruck maximal um den Faktor 2 zu hoch oder zu tief. Bei rund 84% der Substanzen ist der QSAR Dampfdruck maximal um den Faktor 5 zu hoch oder zu tief.

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Wenn die Abschätzungen genau mit den Messwerten übereinstimmen würden, dann lägen alle Punkte in der Grafik oben auf einer Gerade. Das ist offensichtlich nicht der Fall, aber ein Verlauf entlang einer Geraden ist gut erkennbar. Obwohl diese Abschätzung auf den ersten Blick gut aussieht, kann es doch zu markanten Abweichungen vom experimentellen Dampfdruck kommen. Allerdings ist die Streuung bei tiefen und sehr tiefen Dampfdrücken am Grössten, dort spielen die Abweichungen für die Gefahrenabschätzung keine Rolle mehr.

In der Tabelle unten sieht man die Abweichungen in Zahlen. Bei 938 Substanzen liegt der Fehler bei einem Faktor 2x, d.h. wenn der experientelle Dampfdruck 10 mbar ist, dann liegt der QSAR-Wert zwischen 5 und 20 mbar. Die Massenfreisetzung aus einer Lache pro Zeiteinheit ist proportional zum Dampfdruck. Ein Fehler im Dampfdruck von einem Faktor 2 bedeutet, dass die Quellstärke auch um den Faktor 2 zu hoch oder zu tief ist.

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Wie gut ist die Uebereinstimmung der QSAR mit experimentellen Daten: Toxizität

Wenn von Grenzwerten für die Gefahrenabwehr geschrieben wird, sollte berücksichtigt werden, dass von den 158 Millionen verschiedenen Substanzen mit CAS-Nummern (Stand Dez. 2019) rund 300 Substanzen mit AEGL-Grenzwerten gegenüber stehen. Selbst die AEGL Substanzen beruhen dabei viele auf Tierversuchen und zum Teil beruht der festgelegte inhalative Grenzwert auf einer einzelnen Publikation mit oralen LD(50)-Werten. Grenzwerte ändern sich mit der Zeit aufgrund von neuen Erkenntnissen oder unterschiedlicher Gewichtung von Resultaten. Beispielsweise: Vinylchlorid änderte seinen PAC-2 Wert von 3 ppm zu 5000 ppm und zu 1200 ppm innerhalb weniger als 20 Jahre.

Wer eine Toxizität einer Substanz sucht, mit unbekannten AEGL- oder PAC-Wert, wird vielfach nur einen oralen LD(50) finden. Es gibt nun zwei Fälle: Den LD(50)-Wert für die Gefahrenanalyse zu verwenden oder nicht. Im 2. Fall bei der Nichtverwendung ist die Aussage: Es kann keine Aussage zur Toxizität gemacht werden. Im 1. Fall, bei Verwendung des LD(50)-Wertes müssen mit diesem Massnahmen für den Unfall hergeleitet werden. Schwerwiegenden oder irreversible Gesundheitsschäden sollten verhindert werden, analog der PAC-2 oder AEGL-2 Grenzwerte. Für diese Zweck gibt es Formeln zur Ermittelung des TEEL-2/PAC-2 aus dem oralen LD(50)-Wert.

Deshalb vergleichen wir nun die Toxizitäten LD(50) mit den PAC-2 Werten von Substanzen bei denen beide Toxizitätswerte bekannt sind. Idealerweise müsste bei einer Substanz a) mit einem höheren LD(50)-Wert auch ein höherer PAC-2 resultieren als bei einer Substanz b) mit einem kleineren LD(50)-Wert. In der nachfolgenden Grafik sind die PAC-2 Werte jeweils zum experimentellen LD(50) und dem QSAR-Werts des PAC-2 (QSAR-2) angezeigt.

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Die Streuungen zwischen den PAC-2 und experimenten LD(50)-Werten sind, wie oben in der Grafik ersichtlich immens. Die Streuungen sind bei QSAR-2 etwas grösser, aber etwa von ähnlicher Grössenordnung.

Die QSAR-2 Werte beurteilen die Substanzen in den meisten Fällen konservativer, also als giftiger, als die PAC-2 Werte. Dies liegt auch daran, dass bei der toxischen QSAR Berechnung ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor von 10 verwendet wurde.

Vorteile und Nachteile bei der Verwendung von QSAR-Daten

Bei einem Unfall mit einem Gefahrgut werden von den Einsatzkräften Massnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Sachen getroffen. Diese erfolgen auf dem Wissenstand zu dem jeweiligen Zeitpunkt und sind meist zeitkritisch. Und weil es sich um Massnahmen handeln, die über Leben oder Tod von Personen entscheiden können, sind diese von grosser Wichtigkeit.

Bestandteil jeder Massnahme ist die vorgängige Einschätzung der Lage. Diese unterscheidet sich, je nach dem ob bekannt ist welcher Stoff freigesetzt wurde im Gegensatz als wenn nur bekannt ist, dass irgendein Gefahrstoff freigesetzt wurde. Allerdings ist der Nutzen nur klein den Namen des freigesetzten Stoffs zu kennen und dann ein leeres Datenblatt vorzufinden oder eines das aus der Molmasse und dem Schmelzpunkt besteht.

In der folgenden Tabelle sind die Vor- und Nachteile der Verwendung von QSAR-Daten aufgelistet:

Vorteile Nachteile
Der Füllungsgrad in einer Datenbank steigt erheblich. Substanzen mit leeren Datenblättern werden damit massiv reduziert. Einzelne QSAR-Daten können eine grössere Abweichung zum experimentellen Wert aufweisen.
Stoffdaten und auch QSAR-Daten erlauben zielgerichtete Massnahmen zu ergreifen. QSAR-Daten können als exakter Zahlenwerten einen unerfahrenen Benutzer in zu grosser Sicherheit wiegen.
Die Streuung der QSAR-LD50 Werten zu PAC-2 ist vergleichbar von experimentellen LD50 Toxwerten zu PAC-2 Werten.
QSAR-Daten werden systematisch und reproduzierbar abgeleitet.
Die Streuung der Fehler zu den experimentellen Werten, wo bekannt, kann ermittelt werden.
Die Methoden der QSAR-Datenableitung werden mit dem technischen und wissenschaftlichen Fortschritt in Zukunft besser.

Der Fehler, die durch die Verwendung von QSAR Daten entsteht, kann durch die Einbau eines Sicherheitsfaktor in einen QSAR-Wert auf die "sichere" Seite verschoben werden. Beispiel: Wenn der Roh QSAR-Toxwert eines Stoffs den Wert von 200 ppm ergibt, kann mit Anwendung eines Sicherheitsfaktor 10 dieser Wert: 200 ppm / 10 = 20 ppm abgeleitet werden. Der Stoff wird damit 10x toxischer.

Die Verwendung von Sicherheitsfaktoren bei QSAR-Daten bewirken, dass wenn ein QSAR-Wert verwendet wird, der Anwender auf der sicheren Seite liegt, d.h. er schätzt die Lage als gefährlicher ein. Dies trägt der grösseren Unsicherheit der QSAR-Werte Rechnung. Im Englischen spricht man bei Sicherheitsfaktoren für die Toxizität auch von "Assessment factor".

Zusammenfassung

Die Verwendung von QSAR-Daten bringt Vorteile und Nachteile. Unsere Meinung ist, dass die Vorteile überwiegen. Deshalb liefern wir MET für Windows mit QSAR-Daten aus. QSAR-Daten ersetzen dabei nie experimentelle Werte. Der Benutzer hat aber die Wahl QSAR-Wert zuzulassen oder nicht.